Ist es nicht komisch,
… dass wir zwar immer größere Autos und breitere Straßen
haben, mit denen wir schneller von A nach B gelangen, aber wir oft trotzdem
immer mehr Zeit für Mobilität aufwenden, da die Distanzen immer größer werden?
… dass wir heutzutage per Knopfdruck sämtliche Informationen
erhalten, wir aber trotzdem immer länger vor dem Bildschirm sitzen?
… dass es immer mehr Auswahl beim Einkaufen gibt, es uns
aber trotzdem – und gerade deswegen – immer schwerer fällt, eine Entscheidung
zu treffen?
… dass wir bei all dem Wohlstand, den wir haben, so
beschäftigt und abgelenkt sind, dass uns die Zeit und die Fähigkeit (Muße) zum
eigenständigen und kritischen Denken, sowie zum Stillsein und Nichtstun abhanden
kommt?
… dass wir uns immer mehr gehetzt fühlen in einer Umgebung,
die alles immer zur Verfügung stellt?
Es ist doch paradox: Wenn z.B. Transportmittel immer
schneller werden, müsste doch im Umkehrschluss mehr Zeit für Muße und zum
Genießen übrigbleiben, wir müssten entspannter und zufriedener sein. Wenn uns
immer mehr Informationen innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stehen, müssten
wir doch auch immer klüger werden und das auf relativ einfache und bequeme
Weise.
Was passiert wirklich, wenn die Geschwindigkeit stetig
erhöht wird?
Meines Erachtens geht mit der Erhöhung des Tempos immer auch
eine Erhöhung der Anforderungen und Bedürfnisse einher. In dieser Welt des
„ALLES IMMER“ wird es laut meiner Empfindung zusehends schwieriger, mit den
kleinen Dingen zufrieden zu sein und bescheiden zu bleiben. Auch das
Stillwerden wird schwer, Langeweile wird kaum mehr ausgehalten. Ständig hat man
das Gefühl, etwas tun zu müssen und fühlt sich gehetzt. Und es reicht trotzdem
nie.
Anstatt dass man sich nach der rasanten Erledigung einer
Aufgabe entspannt zurücklehnt, stürzt man sich schon auf das nächste Abenteuer.
Ganz nach dem Motto: Wer stehenbleibt, verliert.
Wo die Geschwindigkeit erhöht wird, entsteht die Gier nach
„mehr“. Zudem steigt der gesellschaftliche Druck – um angesehen zu sein, sollte
man möglichst jeden Trend mitmachen. Begehrt sind die Menschen, die viel zu
berichten haben, die Abenteuerlustigen, die möglichst viel erleben, worüber sie erzählen können. Oder Personen, die möglichst viel besitzen, was sie dann
begeistert vorzeigen können.
Auf Geburtstagsfeiern, Firmenfesten, Klassentreffen,
Verwandtschaftstreffen und sonstigen sozialen Anlässen geht es oft um
Selbstdarstellung. Ich fühle mich dann schuldig, weil ich so ein „langweiliges“
Leben führe. Wenn man keine Kinder, ja nicht mal über einen festen Freund
verfügt und auch über keine ausgiebigen Reisen berichten kann und auch keine
neuen Schuhe oder ein neues Haus gekauft hat, ist man schon ziemlich out und
gilt als ziemlich langweilig, vielleicht sogar als depressiv oder sozial
gestört.
Meiner Meinung nach wird in dieser schnelllebigen Zeit
verlernt, zur Ruhe zu kommen, still zu sein, sich treiben zu lassen, sich zu
langweilen, zu beobachten und nachzudenken. Auch die Kreativität wird nicht
gefördert, weil einfach alles vorgegeben ist und die Motivation zur
Kreativität, zum Selbstdenken und Handeln dadurch nicht gefördert wird.
Ohne Kopfhörer, TV, Computer, Telefon hält man es oft kaum
mehr aus. Durch die hohe Geschwindigkeit
schleicht sich sehr schnell das Gefühl ein, etwas Wichtiges zu versäumen, wenn
diese „Instrumente“ nicht zur Hand sind. Das kann ganz schön Angst und Stress
machen. Auch die Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und
dranzubleiben, verkümmert zusehends. Wir leiden zwar alle unter den ständigen
Unterbrechungen, ganz besonders in der Arbeitswelt, tun uns aber trotzdem
schwer, uns abzugrenzen. Ich vermute, dies geschieht aus der Angst,
durch diese Maßnahme als unkollegial zu gelten, als zu wenig leistungsfähig
dazustehen und auch aus der Sorge darüber, etwas Wichtiges zu verpassen und
dadurch auch Fehler zu riskieren.
Aber ist unser Organismus darauf ausgelegt, ständig auf
Empfang zu sein? Halten wir diesen Wirbel auf Dauer überhaupt aus? Die
Erfahrungen im Leben zeigen, dass wir irgendwann kapitulieren und es einfach
nicht mehr geht. Bei mir kommt dieser Moment relativ rasch, was ich als gute
Burnout-Prävention interpretiere. Ich sitze dann da und die Tränen rinnen mir
übers Gesicht. Ich weine dann den ganzen Druck aus mir raus, ein für mich
unkontrollierbarer Vorgang, der dann meistens stundenlang dauert. Erschöpft
gehe ich dann ins Bett und am nächsten Tag ist der Spuk normalerweise wieder
vorbei. Zurück bleibt Nachdenklichkeit und der Wunsch nach Veränderung und
weniger Perfektionismus und einer Reduzierung der Geschwindigkeit in meinem
täglichen Tun.
Das Leben ist wie eine Waagschale. Wenn auf der einen Seite
Geschwindigkeit, Perfektionismus, Konsum, Multitasking, die Angst davor, was
andere denken, herausgenommen wird, wiegt die andere Waagschale, gefüllt mit
Gelassenheit, Lebenszufriedenheit, Ruhe und Achtsamkeit irgendwann immer schwerer. Und das kann uns nur gut tun.
Einfach ist es aufgrund unserer Konditionierung nicht. Aber
es lohnt sich, daran zu arbeiten.