Sonntag, 29. Juni 2014

Gedanken zum Thema "Geschwindigkeit"


Ist es nicht komisch,

… dass wir zwar immer größere Autos und breitere Straßen haben, mit denen wir schneller von A nach B gelangen, aber wir oft trotzdem immer mehr Zeit für Mobilität aufwenden, da die Distanzen immer größer werden?

… dass wir heutzutage per Knopfdruck sämtliche Informationen erhalten, wir aber trotzdem immer länger vor dem Bildschirm sitzen?

… dass es immer mehr Auswahl beim Einkaufen gibt, es uns aber trotzdem – und gerade deswegen – immer schwerer fällt, eine Entscheidung zu treffen?

… dass wir bei all dem Wohlstand, den wir haben, so beschäftigt und abgelenkt sind, dass uns die Zeit und die Fähigkeit (Muße) zum eigenständigen und kritischen Denken, sowie zum Stillsein und Nichtstun abhanden kommt?  

… dass wir uns immer mehr gehetzt fühlen in einer Umgebung, die alles immer zur Verfügung stellt?


Es ist doch paradox: Wenn z.B. Transportmittel immer schneller werden, müsste doch im Umkehrschluss mehr Zeit für Muße und zum Genießen übrigbleiben, wir müssten entspannter und zufriedener sein. Wenn uns immer mehr Informationen innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stehen, müssten wir doch auch immer klüger werden und das auf relativ einfache und bequeme Weise.

Was passiert wirklich, wenn die Geschwindigkeit stetig erhöht wird?

Meines Erachtens geht mit der Erhöhung des Tempos immer auch eine Erhöhung der Anforderungen und Bedürfnisse einher. In dieser Welt des „ALLES IMMER“ wird es laut meiner Empfindung zusehends schwieriger, mit den kleinen Dingen zufrieden zu sein und bescheiden zu bleiben. Auch das Stillwerden wird schwer, Langeweile wird kaum mehr ausgehalten. Ständig hat man das Gefühl, etwas tun zu müssen und fühlt sich gehetzt. Und es reicht trotzdem nie.

Anstatt dass man sich nach der rasanten Erledigung einer Aufgabe entspannt zurücklehnt, stürzt man sich schon auf das nächste Abenteuer. Ganz nach dem Motto: Wer stehenbleibt, verliert.

Wo die Geschwindigkeit erhöht wird, entsteht die Gier nach „mehr“. Zudem steigt der gesellschaftliche Druck – um angesehen zu sein, sollte man möglichst jeden Trend mitmachen. Begehrt sind die Menschen, die viel zu berichten haben, die Abenteuerlustigen, die möglichst viel erleben, worüber sie erzählen können. Oder Personen, die möglichst viel besitzen, was sie dann begeistert vorzeigen können.

Auf Geburtstagsfeiern, Firmenfesten, Klassentreffen, Verwandtschaftstreffen und sonstigen sozialen Anlässen geht es oft um Selbstdarstellung. Ich fühle mich dann schuldig, weil ich so ein „langweiliges“ Leben führe. Wenn man keine Kinder, ja nicht mal über einen festen Freund verfügt und auch über keine ausgiebigen Reisen berichten kann und auch keine neuen Schuhe oder ein neues Haus gekauft hat, ist man schon ziemlich out und gilt als ziemlich langweilig, vielleicht sogar als depressiv oder sozial gestört.

Meiner Meinung nach wird in dieser schnelllebigen Zeit verlernt, zur Ruhe zu kommen, still zu sein, sich treiben zu lassen, sich zu langweilen, zu beobachten und nachzudenken. Auch die Kreativität wird nicht gefördert, weil einfach alles vorgegeben ist und die Motivation zur Kreativität, zum Selbstdenken und Handeln dadurch nicht gefördert wird.

Ohne Kopfhörer, TV, Computer, Telefon hält man es oft kaum mehr aus.  Durch die hohe Geschwindigkeit schleicht sich sehr schnell das Gefühl ein, etwas Wichtiges zu versäumen, wenn diese „Instrumente“ nicht zur Hand sind. Das kann ganz schön Angst und Stress machen. Auch die Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und dranzubleiben, verkümmert zusehends. Wir leiden zwar alle unter den ständigen Unterbrechungen, ganz besonders in der Arbeitswelt, tun uns aber trotzdem schwer, uns abzugrenzen. Ich vermute, dies geschieht aus der Angst, durch diese Maßnahme als unkollegial zu gelten, als zu wenig leistungsfähig dazustehen und auch aus der Sorge darüber, etwas Wichtiges zu verpassen und dadurch auch Fehler zu riskieren.

Aber ist unser Organismus darauf ausgelegt, ständig auf Empfang zu sein? Halten wir diesen Wirbel auf Dauer überhaupt aus? Die Erfahrungen im Leben zeigen, dass wir irgendwann kapitulieren und es einfach nicht mehr geht. Bei mir kommt dieser Moment relativ rasch, was ich als gute Burnout-Prävention interpretiere. Ich sitze dann da und die Tränen rinnen mir übers Gesicht. Ich weine dann den ganzen Druck aus mir raus, ein für mich unkontrollierbarer Vorgang, der dann meistens stundenlang dauert. Erschöpft gehe ich dann ins Bett und am nächsten Tag ist der Spuk normalerweise wieder vorbei. Zurück bleibt Nachdenklichkeit und der Wunsch nach Veränderung und weniger Perfektionismus und einer Reduzierung der Geschwindigkeit in meinem täglichen Tun.

Das Leben ist wie eine Waagschale. Wenn auf der einen Seite Geschwindigkeit, Perfektionismus, Konsum, Multitasking, die Angst davor, was andere denken, herausgenommen wird, wiegt die andere Waagschale, gefüllt mit Gelassenheit, Lebenszufriedenheit, Ruhe und Achtsamkeit irgendwann immer schwerer. Und das kann uns nur gut tun. 

Einfach ist es aufgrund unserer Konditionierung nicht. Aber es lohnt sich, daran zu arbeiten. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen