Eine Weile ist es her, da habe ich das Buch „Momo“ von
Michael Ende im Dachboden meiner Eltern wieder entdeckt. Dieser Roman, der
bereits 1973 erschien, hat nichts von seiner Aktualität und Dramatik eingebüßt.
40 Jahre sind seit dem Erscheinen dieses Buches vergangen, aber die Geschichte
passt wie die Faust auf’s Auge in die jetzige Zeit. Konnte Herr Ende in die
Zukunft blicken? Oder waren die Probleme vor 40 Jahren schon dieselben wie
heute? Wusste er, dass Kinder immer früher in eine organisierte Kinderbetreuung
– Kindergarten, Kinderkrippe – kommen, weil die Erwachsenen teilweise keine
Zeit (und keine Möglichkeit) mehr haben, sie zuhause selber zu betreuen? Ich
weiß, dieses Thema ist ein heißes Eisen. Ich – selber kinderlos – habe nicht
das Wissen und schon gar nicht das Recht, über diese gesellschaftliche Entwicklung zu urteilen. Trotzdem frage ich mich, was da abgeht im Jahr 2013
und ob das eigentlich gut ist, dass wir Menschen heutzutage so viele
Möglichkeiten haben, die uns teilweise die Zeit für die wesentlichen Dinge
rauben. Bleiben im Zeitalter von Technik, Luxus und Konsum die
zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Strecke? Und führt das längerfristig
gesehen nicht zu einem Gefühl des Ausbrennens und der inneren Leere?
Welches sind „unsere grauen Herren“, unsere Zeiträuber?
Auf Seite 107 des Buches Momos schreibt Michael Ende:
Auf Seite 107 des Buches Momos schreibt Michael Ende:
„Die Macht der grauen Herren liegt darin, wie ihr nun wisst,
dass sie unerkannt und im Geheimen arbeiten können. Also ist das einfachste und
wirkungsvollste Mittel, um sie unschädlich zu machen, dass alle Leute die
Wahrheit über sie erfahren“.
Ein anderes Zitat aus dem Buch: „Wer die Zeit der Menschen
besitzt, der hat unbegrenzte Macht“.
Was sind unsere Zeitfresser? Was/wer hat die Macht über uns?
Wir leben in einem Zeitalter der Globalisierung und
Vernetzung. Nachrichten gehen in Sekundenschnelle um die Welt. Wir werden mit Informationen
regelrecht zugeschüttet. Die Werbung müllt uns zu und weckt Bedürfnisse, die
wir vorher nicht hatten. Uns wird suggeriert, wie wir sein müssen und vor
allem, was wir alles haben müssen, um glücklich, schön und zufrieden zu sein.
Wir erfahren auch in Sekundenschnelle von Katastrophen, Kriegen und
Hungersnöten. Wir erfahren weiters auch von Scheidungen irgendwelcher Superstars
oder ob Miley Cyrus gerade eine exzessive Partynacht feiert oder in ihrem neuen
Musikvideo eine Abrissbirne leckt. Über Facebook erfahren wir, was unsere
Freunde gerade so treiben. Für mich ist das eines der Zeitfresser – dem ganzen Treiben
zu folgen, mich zu bemühen, vieles zu lesen, zu hören, zu sehen, um auf dem neuesten
Stand zu bleiben. Ich meine, etwas zu versäumen, wenn ich es nicht mache.
Wir leben in einer Zeit, in der der Narzissmus seine wilden
Blüten treibt. Man beachte Facebook, Twitter, Youtube & Co. Ein jeder würde
gerne durch besondere Leistungen auffallen und Anerkennung bekommen. Fernsehshows
wie „Die große Chance“ boomen, auch Reality TV-Formate sind nach wie vor sehr
beliebt. All diese Shows haben gemeinsam, dass sich darin Menschen prostituieren, nur,
um gesehen zu werden und Anerkennung zu bekommen. Teilweise werden sie aber
dann öffentlich kritisiert und bloßgestellt. Es braucht schon ein starkes Gemüt
und Selbstbewusstsein, um damit umgehen zu können und das auszuhalten. Wenn sie
dann daran zerbrechen, wird ihr Leidensweg noch in der Öffentlichkeit
breitgetreten, mitverfolgt und dokumentiert, manchmal bis zum tragischen Ende. Ich
selber habe aufgehört, mir diese Sendungen reinzuziehen.
Ein weiterer Zeitfresser scheint mir der Luxus zu sein, auch
wenn sich das widerspricht.
Luxus ist bequem. An nichts gewöhnt man sich so schnell wie
an Bequemlichkeit und Luxus. Maschinen, die einem das Leben leichter machen,
Roboter, die den Boden saugen, Ipads, mit denen man mühelos jederzeit im
Internet surfen kann, während nebenher der Fernseher läuft, sowie noch Musik
aus den Lautsprechern plärrt. Für viele Menschen ist es toll, möglichst immer
das Neueste zu haben, sei es an Klamotten, Elektronikgeräten oder das neueste
Auto. Man will zeigen, was man hat, was man sich alles leisten kann, sich
topschick präsentieren, man will „in“ sein und dazugehören. Zudem hat das Neue
seinen Reiz. Es fasziniert, schafft Ablenkung, führt zu einem kurzfristigen
Sättigungsgefühl, es ist Beschäftigungstherapie und lenkt von eventuellen
zwischenmenschlichen Schwierigkeiten ab, überdeckt Einsamkeit und gibt das Gefühl,
dazuzugehören. Aber das Beschaffen all dieser Produkte und die Pflege erfordern
Zeit. Ein Auto z.B. muss auch gewartet, geputzt, getankt, repariert
werden. In ein neues Smartphone muss man sich wieder hineinleben, bis man
begreift, wie es funktioniert und alles installiert ist. Kaum hat man alles begriffen, geht es oft im nächsten Moment auch schon wieder kaputt.
Doch brauchen wir all das Zeugs?
Vordergründig lebt es sich heute wie im Schlaraffenland. Wir
können uns (noch) all das kaufen, wonach es uns beliebt, wir können uns
beruflich verwirklichen, wir können gleichzeitig auch Familien gründen, uns
mehrere Liebhaber zulegen, Selbstverwirklichungsseminare besuchen, in der Welt
herumjetten, kurzum, mit dem nötigen Kleingeld lässt sich fast jeder Wunsch
erfüllen. Dazu löst die Werbung allerlei Bedürfnisse aus und weckt neue
Begierden. Was tut der Mensch nicht alles, um dazuzugehören, mitzuhalten in
diesem Rennen um Statussymbole und Anerkennung? Es ist so normal geworden,
mitzurennen, möglichst jeden Trend
mitzumachen. Wissen wir eigentlich noch, wofür wir rennen?
Ein weiterer Zeitfresser ist mitunter der Job.
Warum arbeiten wir eigentlich so viel – teilweise bis zur
kompletten Erschöpfung? Tun wir das wirklich, weil wir unsere Arbeit so lieben?
Oder geht es darum, das Geld zur Befriedigung aller möglichen Bedürfnisse
zusammenzukratzen? Oder schuften wir uns
teilweise kaputt, damit unser Arbeitgeber im immer härteren Wettbewerb die
Nase vorn hat? Oder geht es um die gesellschaftliche Anerkennung im Sinne
von: Nur, wer viel leistet, wird auch
geschätzt. Nichts gegen Leistung und viele Arbeit. Ich denke, solange Arbeit Freude
macht, so lange man die Arbeit liebt, die man verrichtet, ist alles gut. Aber braucht
es all die Güter, die unsere Unternehmen auf den Markt werfen oder würde uns
ein Gesundschrumpfen guttun? Was passiert, wenn dieses Zeug niemand mehr kaufen
kann?
Niko
Paech spricht in diesem Zusammenhang von der Idee einer
Postwachstumsökonomie. Er spricht davon (in einfachen Worten ausgedrückt), die
wöchentliche Normalarbeitszeit drastisch zu kürzen und die restliche Zeit dazu
zu verwenden, das für sich und vor allem auch für andere zu tun, was man gut
kann und gerne tut – dabei kann es sich um Nähen handeln oder um Reparieren
oder um Marmelade einkochen, gärtnern, sich um Menschen im Altersheim kümmern,
was auch immer. Wir sollten wieder lernen, uns selber zu versorgen, wieder
selber Hand anzulegen und im Kleinen zu produzieren und das zu teilen.
Vermutlich würde uns das wieder mehr Lebensqualität zurückbringen, den Stress verringern
und wieder mehr die persönlichen Kontakte und die Zwischenmenschlichkeit zum
Sprießen bringen. Damit verbunden würde vermutlich auch die Lebensfreude wieder
wachsen. Ganz nebenbei hätten wir vielleicht auch wieder mehr Zeit für unsere Kinder.
Meiner Meinung nach wird unser jetziges Wirtschaftssystem,
welches immer noch auf Wachstum ausgelegt ist, so oder so früher oder später
zusammenbrechen. Es ist doch nur eine Frage der Zeit, die Ressourcen sind
erschöpft, den Banken geht das Geld aus. Länder wie Spanien und Griechenland
stecken schon inmitten der Krise. Mal sehen, wie lange es dauert, bis uns hier diese
Realität ebenso einholen wird. Es wäre klug, schon vorher zu reagieren. Ich
denke, die Menschen, die jetzt schon üben, mit weniger Luxus klarzukommen und sich
auf das Wesentliche zu beschränken, werden sich später etwas leichter tun, um
mit der neuen Situation zurechtzukommen und nicht daran zu zerbrechen. Aber wie es dann wirklich sein wird, werden wir erst erfahren, wenn es soweit ist. Bis
dahin können wir noch versuchen, das Schlimmste abzuwenden und uns im
Reduzieren zu üben. Es geht um unsere Zukunft, um die Zukunft unserer Kinder
und um unsere eigene Lebensfreude.
Wir können uns wieder Zeit von „unseren grauen Herren“
zurückerobern, in dem wir uns überlegen, was uns die meiste Zeit raubt und
worauf wir bereit sind, zu verzichten. Wir können uns überlegen, ob wir –
vielleicht unentgeltlich oder ehrenamtlich – etwas für und gemeinsam mit
anderen Menschen tun können und dafür eventuell die „Jobzeit“ reduzieren. Wenn
wir weniger konsumieren, brauchen wir auch nicht mehr so viel Geld zu
verdienen, um uns unsere Bedürfnisse finanzieren zu können. Wir können teilen
oder tauschen und zwischendurch den Computer mal abdrehen, um stattdessen einen
Spaziergang durch die schöne Natur zu machen. Es lohnt sich, über diese Dinge
nachzudenken und neue Möglichkeiten auszuprobieren. Es geht um unser Lebensglück.