Donnerstag, 3. Oktober 2013

Jakobsweg

„Stell Dir vor, Du stehst morgens auf und die einzige Sorge, die Du hast, ist die Frage: Welches T-Shirt ziehe ich heute an? Ist es das Blaue oder das Rote?“ Ich habe grad mit einer lieben Freundin telefoniert und dieser Satz hallt in mir nach, wie ich so im Hängesessel auf dem Balkon hin- und herschaukle. Meine Freundin ist gerade den Jakobsweg gegangen und sehr glücklich wieder ins Ländle zurückgekommen.

Wie es wohl wäre, so ein einfaches Leben zu führen, ohne Verpflichtungen, ohne Computer, ohne Handy, mit nur einer Handvoll Klamotten und einer Zahnbürste. Nur das zu besitzen, was in dem Rucksack Platz hat, den man am Rücken trägt. Ein Leben ohne viele Besitztümer, aber mit zwischenmenschlichem Reichtum, wie Menschen, die aufeinander Rücksicht nehmen und füreinander da sind. Ein Leben mit guten Gesprächen, nicht über Facebook und e-mail, sondern mit Augenkontakt und einem echten Lächeln. Sich nicht kümmern müssen, ob der Herd wohl ausgeschaltet ist und die Wohnungstür fest verschlossen. Sich nicht fragen müssen, ob man es morgen im Messepark endlich schafft, das neues Handy zu ergattern, oder ob wieder 20 Leute vor dem Shop darauf warten, endlich an der Reihe zu sein. Oder morgens schon nervös aufzuwachen und zu bangen, ob man es schafft, alles hineinzudrücken in den Tag, was man sich vorgenommen hat.
Der Druck ist in der heutigen Zeit sehr groß. Von jedem von uns wird viel verlangt. Erfolg im Berufsleben, eine glückliche Beziehung, das neue Smartphone und lässig wäre auch noch ein neuer Van mit „Around view monitor“ für eine 360 Grad Ansicht der Parklücke von oben (das gibt’s wirklich!)

Die Anforderungen unserer heutigen Gesellschaft sind sehr hoch. Da mitzuhalten erscheint wie ein Spießrutenlauf. Viele Menschen schaffen das nicht mehr und brennen aus. „Burnout“ – eine Krankheit, die immer mehr Menschen betrifft, weil sie mit der Geschwindigkeit der heutigen Zeit, den hohen Anforderungen,  dem Perfektionismus, dem Mithalten, um dazuzugehören und geliebt zu werden, überfordert sind.

Es ist die Krankheit des „zu viel“. Es ist zu viel, was uns in der heutigen Zeit zugemutet wird. Ein zu viel an Information, zu viel an Gütern, zu viel an Luxus, zu viel an Werbung, zu viel an Perfektionismus, zu viel an Verpflichtungen. Das überfordert uns auf Dauer. Ich staunte nicht schlecht, zu erfahren, dass die AUVA Plastikkarten im Scheckkartenformat verteilt, mit denen es möglich ist, den eigenen Stresslevel herauszufinden, indem man 10 Sekunden den Daumen auf einen bestimmten Punkt drückt.  Je nach Einfärbung wird dem Daumendrücker angezeigt, ob er ruhig oder gestresst ist. Es ist wichtig, das zu testen, meint offenbar die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt. Da komme ich nicht umhin, den Kopf zu schütteln und mich zu fragen „Wie absurd ist diese heutige Zeit“? Brauchen wir wirklich schon Plastikkarten, um unseren Stresspegel zu prüfen, können wir das nicht mehr selber spüren? Haben wir Menschen wirklich verlernt, mal innezuhalten, tief durchzuatmen und wieder in Kontakt mit uns selber zu kommen? Ist es um uns Wohlstandsmenschen wirklich schon so übel bestellt? Und wollen wir aus freien Stücken so ein Leben führen?

Ganz abgesehen davon, dass ich es unsinnig finde, solche Produkte zu entwickeln, die wieder Ressourcen verbrauchen und meiner Meinung nach absolut überflüssig sind. Wieder ein bisschen Plastik mehr auf der Welt, welches im nächsten Moment im Müllkübel landet.

Nun ja, über die Frage, welchen Druck es bedeutet, immer möglichst auf dem neuesten Stand zu sein und über die zweite wichtige Frage, warum man sich das eigentlich antut, werde ich ein andermal nachgrübeln. Jetzt schließe ich erst einmal die Augen und begebe mich in Gedanken auf den Jakobsweg. 

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