Samstag, 18. Januar 2014

Von der Mobilität zur Entschleunigung - ein Gedankensprung

Vor noch nicht allzulanger Zeit habe ich nicht nur ein Fairphone erhalten, sondern auch das Maximo-Ticket von VMobil, mit dem ich innerhalb Vorarlbergs das ganze Jahr über die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen darf.

Mal ganz ehrlich – ich habe mich noch nicht so richtig auf das Öffis-Fahren eingestellt … obwohl ich hier über Umweltverschmutzung und CO2-Verbrauch wettere, stolpere ich derzeit noch über meine eigene Bequemlichkeit …

Autofahren ist vordergründig halt schon ein Luxus. Man kann allerhand einladen, kann kommen und gehen, wann man will, muss sich nicht an einen Terminplan halten, man kann vor die Haustüre fahren und die Gehprothese (eine Umschreibung für’s Auto von Roland Düringer) dort abstellen, groß bewegen muss man sich auch nicht … auf diese Dinge zu verzichten, gestaltet sich zugegebenermaßen noch als mühevoll.

Heute möchte ich das ganze Thema mal nicht aus dem Aspekt des Umweltschutzes (CO2-Ausstoß, Verschwendung von Ressourcen) betrachten (obwohl das auch ein ganz zentrales Thema ist), sondern die Thematik vom ganz menschlichen, etwas philosophischen, psychologischen Blickwinkel aus sehen.

Eines vorweg: Ich habe derzeit nicht vor, ganz auf das Auto zu verzichten … der erste Schritt soll sein, die Fahrkilometer zu reduzieren und das Auto möglichst nur dann aus der Garage zu holen, wenn gute Gründe dafür sprechen, es zu benutzen.

Solche Gründe wären:
  • das Transportieren von schwereren Gegenständen
  • Termindruck (zwei Termine an verschiedenen Orten innerhalb kurzer Zeit)
  • keine vernünftige Zug- oder Busverbindung
  • Notfälle
  • Menschen, die mitfahren (dann rentiert sich das Autofahren auch eher)
  • Unterwegssein spät nachts (es ist nicht so angenehm, mitten in der Nacht alleine auf Bahnhöfen herumzulungern, außerdem kann ich kurze Nächte und wenig Schlaf nicht ausstehen)

Alle anderen Fahrten lassen sich meines Erachtens auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewerkstelligen. Die Voraussetzung dafür ist nur, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden. 

Nehmen wir mal meinen Arbeitsweg her. Ich habe keine direkte Busverbindung von meinem Wohnort zu meinem Arbeitsplatz. Während ich zu Fuß von zuhause zum Bahnhof nur etwa 7 Minuten benötige, dauert es vom Bahnhof zum Arbeitsplatz schon an die 20 bis 25 Minuten pro Arbeitsweg. 

Was spricht eigentlich dagegen, etwas länger unterwegs zu sein und dafür auch noch ein Stückchen zu Fuß zu laufen? Ist es wirklich so schlimm, täglich 40 min (hin und retour) zu Fuß zurückzulegen? Könnte es vielleicht – nach einer gewissen Eingewöhnungszeit – einen Gewinn darstellen, täglich an der frischen Luft zu gehen?

Ich kann mir das durchaus vorstellen. Roland Düringer, dessen Buch „Leb wohl Schlaraffenland“ ich derzeit begeistert lese, schreibt an einer Stelle, dass das Gehen etwas Heilendes sei, da es in einer Langsamkeit geschieht, bei der das Gehirn gut mitkommt (zu finden auf Seite 75 seines Buches). Heutzutage hat das Leben eine Geschwindigkeit erreicht – durch moderne Kommunikationsmittel, durch schnellere Fahrzeuge – die uns ohnehin fast aus dem Sattel reißt.
  • Informationsmittel und die Informationsflut (man erfährt quasi in Echtzeit, wann, wo, was und wie passiert, man sollte am besten immer erreichbar und einsatzfähig sein), 
  • schnelle Transportmittel (innerhalb weniger Stunden können wir von einem Ort zum anderen jetten und in eine vollkommen andere Kultur eintauchen), 
  • großer Leistungsdruck („in“ ist, wer überall dabei ist und überall mitreden kann),
führen zu einer ständigen Beschleunigung, zu einer Überforderung und im blödesten Fall ins Burn-Out. Das Hamsterrad dreht sich immer schneller.

40 Minuten Gehzeit kann da heilend wirken und helfen, wieder „herunterzukommen“, wieder langsamer zu werden, zu entschleunigen, tief durchzuatmen und wieder zu sich zu kommen. Körperliche Bewegung ist gesund und hilft, ruhig zu werden, den ganzen Wirbel, den der Arbeitstag gebracht hat, zu verarbeiten. Zeitweise ist mein Kopf vom vielen Denken (und Verkopfen) so voll, dass er droht, zu zerbersten. Zumindest fühlt es sich so an. An die frische Luft zu gehen und tief durchzuatmen, ist dann eine reine Wohltat!

Und das Zugfahren selber - während der Fahrt kann man z.B. ein Buch lesen oder Mitfahrer beobachten, schauen, was sie so bewegt, wie sie ihre Zeit vertreiben, ob sie müde sind oder fröhlich. Vielleicht kommt man auch mit jemandem ins Gespräch. So etwas kann einem z.B. im Auto nicht passieren, wenn man alleine fährt. Deswegen hat Roland Düringer noch ein zweites Wort für das Auto, welches mir gut gefällt: „Bürgerkäfig“. Ein „Käfig“, in den man reinsitzen kann, um mit niemandem kommunizieren zu müssen. Der Lift ist auch so ein „Bürgerkäfig“. Ein Transportmittel, in das man stehen kann, um mit möglichst wenig Aufwand von unten nach oben oder von oben nach unten zu kommen. Wenn man „Glück“ hat, hat man den „Käfig“ für sich alleine und muss niemandem in die Augen schauen, geschweige denn, mit jemandem reden, denn oftmals ist man dazu eh zu müde.

Tut uns diese Individualisierung denn gut? In einer Zeit, in der möglichst alles optimiert und schnell gehen muss (ich bin aufgrund meines großen Perfektionismus und mangelndem Selbstbewusstsein auch "Mittäter"), ist man oftmals abends so ausgelaugt, dass man gar keinen Bock mehr darauf hat, jemanden zu sehen oder mit jemandem reden zu müssen. Ich z.B. will dann oft alleine sein, um mich zu erholen, oder noch das eine oder andere zu erledigen, merke dann aber, dass dieses Alleinsein mich irgendwann auslaugt und nach einer bestimmten Zeit geradewegs zu Niedergeschlagenheit und depressiven Verstimmungen führt. Wumms, da ist es das Loch, na super! Da wollte ich eigentlich gar nicht hin! 

Viele Menschen leiden darunter, dass bei all dieser Geschwindigkeit, Leistungsdruck, Optimierung, keine Energie und Zeit mehr bleibt für Beziehungen, Zwischenmenschlichkeit, Ruhe, Freude, Lebendigkeit. Ich bin selber eine Frau, die durch das Leben rennt, um ja alles gut und richtig zu machen und keine Kritik zu ernten, aber in Wahrheit pfeift mich dieses Hamsterrad mächtig an. Ich glaube, so geht es vielen.

Eine Entschleunigung könnte dazu führen, dass die Menschen wieder vermehrt miteinander in Kontakt kommen, vielleicht einander zwischendurch wieder freundlich zulächeln. Jeder Mensch braucht das Gefühl, wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Wir sind keine Maschinen!

Vor einiger Zeit ergab sich folgender Wortwechsel zwischen meinem Patenkind (8 Jahre) und mir:

Ich: „Ich bin soooo kaputt“. Sie hat gelacht  und ganz trocken angemerkt: „Bist Du eine Maschine?“ Ich: „Nein, warum? Ich verstehe nicht …“. Sie: „ Nur Maschinen gehen kaputt. Wenn Du keine Maschine bist, kannst Du auch nicht kaputtgehen“. 

Ich hab dann auch gelacht. Mit diesem trockenen Kommentar hat sie mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. Sie hat damit mein Jammern unterbunden und mir auch bewusst gemacht: Wir sind keine Maschinen und sollten deshalb auch nicht so leben, als wären wir Maschinen. Zwischendurch sollten wir uns diesen Umstand wieder bewusst machen, um nicht über unsere eigenen Füße und unseren eigenen Ehrgeiz zu stolpern. Nicht immer sind es die Chefs, die uns Druck machen. Oftmals sind wir es einfach nur selber, die uns unter Druck setzen. Warum? Weil wir es so gewohnt sind, denke ich, weil wir es in der Schule so gelernt haben, weil wir gut sein wollen um jeden Preis, weil wir für den Erfolg bereit sind, unsere Seele zu verkaufen. Das ist aber kein Weg, der glücklich und zufrieden macht.

Deswegen: Entschleunigung – Bus fahren, zu Fuß gehen, Auto öfters stehen lassen.

Ich werde mich darin üben. 

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