Samstag, 8. Februar 2014

Gefangen im Netz

Seitdem ich vermehrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, fällt es mir ungemein stark auf, dass sich sehr, sehr viele Menschen die Zeit des Wartens auf das öffentliche Transportmittel, sowie die Zeit im Transportmittel mit dem Smartphone vertreiben. Das Smartphone scheint wie ein Teil der eigenen Identität geworden zu sein, das Teil, das einen mit der Welt verbunden und mit anderen Menschen in Kontakt hält. 

Wie dramatisch es ausschauen kann, wenn da mal ein Smartphone im Bus vergessen wird, durfte ich kürzlich erfahren. Eine junge Frau fragte mich nach dem Weg zum Bahnhof. Sie erschien eifrig auf ihr Telefon eintippend an der Bushaltestelle. Ich teilte ihr mit, dass ich ebenfalls mit dem Bus auf dem Weg zum Bahnhof bin und dass sie mir einfach folgen möge. Sie schien erleichtert und widmete sich dann wieder dem Smartphone und der Person, mit der sie gerade kommunizierte. Doch als ich sie darauf hinwies, dass wir bei der nächsten Haltestelle aussteigen müssen, kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall. Sie zog sich die Handschuhe an und muss dabei kurz das Smartphone weggelegt haben.

Der Bus hielt, wir stiegen aus und das Smartphone fuhr weiter. 

Die junge Frau wirkte verzweifelt! Es gelang ihr zwar dann schnell, in Erfahrung zu bringen, dass ihr Telefon bereits abgegeben wurde beim Buschauffeur, aber das linderte ihre Not kaum. Sie war aufgelöst, stützte ihren Kopf in ihre Hände und schien vollkommen fertig. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte und wie ich ihr helfen konnte. Kurz, bevor ich ausstieg wandte ich mich an sie mit den Worten: „Kopf hoch, du wirst es wiederbekommen!“ Und sie meinte, ja, aber jetzt sei doch Wochenende! Wenn sie nur das Telefon vor dem Wochenende wiederbekommen würde, …

Ein Wochenende ohne Smartphone … kann das so schlimm sein?

Ich erinnere mich an einen Tag, als mein Computer kaputtging. Meine Verzweiflung war ähnlich dramatisch … damals war die Zeit noch nicht reif für Smartphones, ins Internet gelangte man rein über den PC und ein giftgrünes Modem, welches komische Geräusche von sich gab, wenn man sich über die Telefonleitung einwählte und damit die Leitung zum Telefonieren besetzte. Dennoch hielt ich mit meinen Freunden über e-mail-Kontakt. Als dann plötzlich nichts mehr ging, war ich nervlich am Ende. Es schien, als sei ich abgeschnitten von der Welt, als wäre ich plötzlich einsam und alleine.

Aber wie kommt das? Nur, weil man grad „offline“ ist, dreht sich die Welt doch weiter … die Menschen existieren noch, auch selber existiert man nach wie vor. „Offline“ zu sein, bedeutet, dass man wieder rausgehen muss aus dem Haus, wenn man Freunde und Bekannte sehen möchte, dass man wieder von Angesicht zu Angesicht kommunizieren muss und dass man Dinge – dies erscheint mir auch ganz wesentlich - versäumt! Aber ist das so tragisch?

Kürzlich lief auf ZDF die Dokumentation „World Wide War“, bei der es um den geheimen Kampf unserer Daten geht. Wohin mögen uns diese Zeiten, in denen klar ist, dass Geheimdienste wie die NSA all unsere Daten überwachen und herausfiltern können, uns wohl führen?

Solange uns alle gut gewillt sind, wird das vielleicht noch keine so weitreichenden Folgen haben. Aber was bedeutet es, wenn ein totalitäres Regime die Macht an sich reißt? Man müsste die Menschen nicht mehr – wie in Zeiten des Nationalsozialismus – bespitzeln, indem man ihre Gespräche mitlauscht, nein, man könnte dann einfach ins Internet gehen und die Aktivitäten nachverfolgen. Ah, dieser und jener ist aufmüpfig, den schnappen wir uns mal und lassen ihn/sie verschwinden. Tipptopp!

Vielleicht nicht ganz so dramatisch, aber auch sehr wirkungsvoll, ist die Sammlung der Daten für unsere Wirtschaft. Es kann sehr interessant und lukrativ sein, die Daten von Individuen zu sammeln, um herauszufinden, wer sich wofür interessiert. Das ist ein wunderbares Marketinginstrument! Man erkundet die Interessen des Einzelnen und lässt ihm dann einfach viele zielgerichtete Angebote zukommen. Alles geritzt, wenn dieser Mensch dann möglichst oft zuschlägt und die Waren kauft! Das hält ihn beschäftigt, kurbelt die Wirtschaft an und lässt ihn nicht auf dumme Gedanken kommen. Wessen Gehirn mit Krempel zugemüllt wird, der hat keine Zeit, das System zu hinterfragen, ähnlich, wie Michael Ende es im Buch Momo beschreibt.

So begeistert ich jahrelang vom Internet war, desto mehr stimmt es mich heute nachdenklich. Über kurz oder lang ist das Internet eine künstliche Welt, ein Tummelplatz für Selbstdarsteller, für Marketingstrategen, für einsame Menschen, aber auch für Verbrecher. Wer all die Daten hat, hat die Macht, so scheint es. Das wirkt in der Tat bedrohlich. Aber irgendwie auch absurd. Denn schlussendlich hat jeder von uns die Möglichkeit, aus dieser Absurdität auszusteigen, indem er sich einfach nicht mehr ins Internet einloggt. 

Würden dies alle machen, wär das ganz schön blöd für die NSA, Marketingstrategen und Konsorten! Plötzlich gäbe es keine neuen Daten mehr! Plötzlich wären Verbindungen nicht mehr so einfach nachverfolgbar. Würden die Menschen wieder anfangen, bar zu zahlen, wär’s noch beschissener für die Wirtschaftsbarone dieser Welt. Plötzlich wüsste man nicht mehr, wofür der Einzelne sein Geld ausgibt. Die Banken würden in Not geraten, weil die Geldscheine ausgehen würden. Im Zeitalter des elektronischen Geldverkehrs ist Papiergeld ja schon Mangelware und nicht unbedingt erwünscht von den Wirtschaftsmächten.

Es scheint, als dass wir uns diesen „World Wide War“ um unsere Daten selbst erschaffen haben, indem wir so exzessiv begonnen haben, die Annehmlichkeiten des Internets zu genießen und zu nützen und es so den Mächtigen dieser Welt sehr einfach gemacht haben, uns zu kontrollieren. Vom Segen wird es langsam zum Fluch … ich bin noch gespannt, wie das alles weitergehen wird.

Ich glaube, zum bewussten Konsum und zur Genügsamkeit gehört es ganz zentral dazu, wieder zu kleinen Strukturen zurückzugreifen, sprich, kürzere Distanzen zurückzulegen, vermehrt mit den Menschen im Umkreis zu verkehren und zu reden, Zweckgemeinschaften mit Menschen in der Region zu bilden, Reparaturcafés aufzubauen, beim Schneider in der Nähe sich das Kleid schneidern lassen, sich die Lebensmittel wieder vermehrt beim Bauern zu holen, beim Nahversorger einkaufen, sich im Café in der Nähe treffen … für all diese Dinge braucht es kein Internet, sondern nur zwei gesunde Beine, die einen an diese Orte tragen. 

Zurück zur Einfachheit! Das wär doch mal was! 

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